Im Spätherbst 2015 stellte Apple das sogenannte iPad Pro vor, ein 12,9 Zoll großes bis zu rund 1.300,- Euro teures Highend Tablet. Das ‚Pro‘ im Namen steht für ‚Professionell‘ und somit soll es laut Apple „[…] [e]in iPad [sein], mit dem du noch kreativer und produktiver sein kannst“. Neben der schieren Größe soll die neu gewonnene Produktivität v.a. vom (optional erhältlichen) Smart Keyboard (Tastatur, 179,- Euro) und dem Apple Pencil (Stift, 109,- Euro) her rühren. Ebenfalls zum Jahresausklang stellte Google sein neues, produktives Tablet vor, das Google Pixel C; ‚C‘ steht hier für ‚convertible‘, also ‚verwandelbar‘. Auch hier gibt es eine Tastatur (169,- Euro), die das Tablet produktiver machen soll, auch wenn Google das in seiner Marketing-Sprache nicht so deutlich herausarbeitet wie Apple – eine gute Entscheidung, wie sich noch zeigen wird…
Warum Tablets plötzlich ‚produktiv‘ werden
Die ganzen Accessoires wie Tastaturen, Stifte und diverse Hüllen gibt es schon seit längerer Zeit für Tablets von diversen Drittanbietern. Dass Apple und Google jetzt plötzlich selbst Zubehör dieser Art anbieten und ihre Produkte damit zu produktiven Arbeitsgeräten erklären, ist jedoch neu. Als Grund ist wohl das Microsoft Surface Pro anzuführen, ein Hybridgerät (Tablet/Laptop), mit dem Microsoft 2012 eine neue Produktkategorie zu erfinden versuchte und anfangs viel Kritik einstecken musste. Mittlerweile gibt es das Gerät in der 4. Generation mit der neuesten Version des Microsoft Betriebssystems Windows 10 – mit einer größer werdenden Fangemeinde und es findet – gerade im Bildungsbereich – großen Anklang. Doch auch wenn die Microsoft PR von einem „Tablet, das Deinen Laptop ersetzen kann“ spricht, ist das Microsoft Surface ist vielmehr ein Laptop, der in beschränktem Maße auch ein Tablet sein kann. Deshalb sind iPad und Google Tablets nur bedingt mit dem Microsoft Surface vergleichbar – wie bald im Lernhandwerk Erfahrungsbericht zum Microsoft Surface Pro 4 zu lesen sein wird.
Das Versprechen: Tablet + Tastatur + Stift = besserer Laptop?
Auf einer echten Laptop-Tastatur schreibt man schneller und exakter als auf einem Touchscreen. Mit einem Stift malt und schreibt man ebenfalls besser als mit der Maus oder dem Finger. Doch besteht ein Arbeitstag nur aus E-Mails tippen und malen? Vermutlich nur für einen ganz beschränkten Personenkreis, Designer zum Beispiel. Für AkademikerInnen, LehrerInnen oder Büromenschen gehört einfach mehr dazu: Dateimanagement (Dateiexplorer), exakte Formatierung in Dokumenten, Tabellenkalkulation, Arbeiten mit mehreren Fenstern. All das leistet ein Laptop hervorragend und ein Tablet (auch mit Tastatur und Stift) nur sehr bedingt. Das liegt am mobilen Betriebssystem iOS (iPad) oder Android (Google Tablets), was im Grunde genommen für Smartphones konzipiert ist und beispielsweise keinen Dateiexplorer (iOS), kein Multitasking (Android), keine Mauseingabe (beide) und keine vollwertigen Desktopprogramme bietet. Und daran ändern auch die vermeintlich verfügbaren Apps von Microsoft (z.B. Office) oder Adobe (z.B. Photoshop) nichts. Man kann zwar auch mit Powerpoint für iOS eine Präsentation erstellen, aber den Animationen und Folien den letzten Schliff verleihen und v.a. sicherstellen, dass die Präsentation am Ausgabegerät richtig angezeigt wird? Unmöglich. Die Systeme sind zudem ganz und gar auf Touch ausgelegt – was großartig zum Konsumieren von Medien (Surfen im Web, Videos, Social Media) geeignet ist, aber eben nur bedingt für echte Arbeit.
Realistische Usecases für Tablets: Lernerzentrierter Medieneinsatz und E-Mails
Wenn das Tablet also den Laptop nicht ersetzen kann, was kann es dann im professionellen Umfeld oder Bildungsbereich leisten? In Verbindung mit einer Tastatur kann sich ein Tablet sicherlich schnell zu einer kompakten und leistungsfähigen E-Mail-Maschine mausern. Auch Terminverwaltung ist dank eingebauter Apps oder Lösungen wie Outlook mobile effizient möglich. Im Bildungskontext werden aus iPads in den Händen von Kindern rasch kleine Videoerstellungswunder für Erklärvideos und Kurzfilme – denn: Hier ist die exakte Position einer Grafik in einer Powerpoint-Präsentation oder eine spezielle Funktion von Excel nicht entscheidend. Vielmehr soll es schnell gehen, einfach zu bedienen sein und nicht mit großem Featureset verwirren. Es gibt also durchaus Anwendungsfälle, in denen ein iPad eine echte Bereicherung für den Arbeitsalltag oder den Einsatz in digital angereicherten Lernarrangements darstellt. Aber wir sollten wirklich aufhören, von Tablets zu erwarten, dass sie die besseren Laptops sind. Das sind sie nicht und können sie mit einem mobilen Betriebssystem auch nicht sein.