Das subjektive iPhone-6-Review – von Lernhandwerk [LHW Test]

Vorwort: Google ohne Android

Ich stecke in einer Zwickmühle: Ich liebe und nutze fast alle Google-Services. Von 28 möglichen Apps auf meinem Homescreen sind 7 Apps Google-Dienste (nicht mitgezählt: Kontakte, Kalender und Mails, die ebenfalls über Google gesynct werden). D.h. eigentlich könnte ich mir gleich ein Android-Handy kaufen. Bis vor kurzem nutzte ich noch (äußerst zufrieden) ein iPhone 5 (nicht „s“). Einige Android-Exklusiv-Features hatte ich schon immer leicht vermisst (Mein letztes Handy vor dem iPhone 5 war ein Samsung Galaxy S1 mit Android 4.0 CM.), aber da nun auch noch Cross-App-Sharing und Dritthersteller-Tastaturen in iOS kommen, werden die KO-Kriterien für Android immer weniger. Sollte Google irgendwann alle Dienste aus iOS entfernen, werden die Karten für mich wieder neu gemischt. In der Zwischenzeit: doch wieder ein iPhone! Denn bisher war ich von der Stabilität, dem Look & Feel und v.a. auch der Kamera recht begeistert, so dass ich bisher noch keinen Wechselzwang verspüre.

Smartphone oder Phablet: 6 oder 6 Plus?

Die Frage „6 oder 6 PLUS?“ stellte sich mir gar nicht – ich hab sogar mein iPad wieder verkauft. Außer der Screen-Größe hat ein iPad für mich keinen Mehrwert – alle „aber man ist so viel produktiver“-Advokaten strafe ich Lügen: Für mich ist und bleibt das iPad ein Medien-Konsumgerät, kein Productivity-Wunder. Wer halbwegs ernsthaft produktiv sein will, braucht dann eine Bluetooth-Tastatur und dann kann ich mir auch ein Ultrabook zulegen. Quod erat demonstrandum. Next!

Wenn ich mehr „Screen real estate“ brauche, landet der Screen eben via AirPlay auf dem Fernseher. Viel wichtiger: Ich will das Ding noch vernünftig einhändig bedienen können und es soll in meine Jeans passen, ohne dass es nach einem Kindle aussieht (und nein, ich trage keine Rockstar-Skinny-Jeans). Deshalb wurde es auch ein „normales“ 4,7-Zoll-großes iPhone 6 (spacegrey, 64 GB).

Design, Haptik und warum mein iPhone in einer Hülle steckt

Das iPhone ist ein ansehnliches Gerät: Aluminium aus einem Stück gefräst, das Display geht absolut kantenlos in das Gehäuse über (fast schon laminiert). Industrial-Design-Elemente auf der Unterseite, Knöpfe mit klarem Druckpunkt, die nicht klappern. Sinnvoll: der Power-Button auf der rechten Seite. Immer noch toll: Ein physischer Knopf, mit dem ich das Gerät laut(los) stelle. Auch der Lightning-Stecker ist immer noch super. Wer im Halbschlaf regelmäßig das Gerät an die Steckdose hängt, weiß wirklich sehr (!) zu schätzen, dass man den Stecker nicht falsch herum einstecken kann.

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Nicht so besonders: Diese „Fliesenfugen“ auf der Rückseite. Ja, da steckt die Antennentechnik drin, bla bla. Sieht trotzdem bescheiden aus. Die Kamera steht etwas hervor – angeblich wurde mit einem dickeren Gehäusedesign experimentiert und für hässlich befunden. Mich stört es wirklich überhaupt nicht, aber den Punkt muss man wohl den „Bei Steve hätte es das nicht gegeben“-Nostalgikern zugestehen. Und zuguterletzt: Hätte man das iPhone-5-Design einfach aufgeblasen, hätte es wohl nicht wirklich geklappt bzw. könnte man das Gerät dann gar nicht mehr bequem umfassen. Aber die ganzen Rundungen machen das Gerät etwas schlüpfrig in der Handhabung. Deshalb steckt mein iPhone auch in der Apple-Lederhülle (Mit 45 Euro schon teuer, aber gut, habe auch nie verstanden, warum Leute 700-Euro-Smartphones in 1-Euro-Silikon-Flummis packen) – das Leder ist an sich schon griffiger, in Verbindung mit etwas Handschweiß noch grifffester und: es nivelliert das Profil der Rückseite, d.h. die Kamera ragt auch nicht mehr raus. Problem gelöst.

iOS 8.1: Android-Features behutsam eingepflegt

iOS 7 letztes Jahr war ein (meines Erachtens) gelungenes Neudesign. Aber mehr auch nicht – das Flatdesign ist hübsch, aber unter der Haube gab es kaum Neuigkeiten. Das ist dieses Jahr anders. iOS 8 erweitert im Grunde das iOS 7 Design um ein paar Android-Features: Tastaturen von Drittanbietern (Swiftkey! Swype!), Sharesheet (Teilen aus und zu jeder App – nicht nur Apple-Systemdienste), Widgets. Das waren auch schon die größten Neuerungen – und?

Nun ja: Die Drittanbieter-Tastaturen sind noch etwas unausgegoren. Swiftkey lässt viel Potenzial erkennen, stürzt aber doch ab und zu ab. Bisher nur 2 Themes. Ich bin nach zweimaligem Experiment wieder bei der Stock-Tastatur gelandet, die jetzt auch Wortvorschläge liefert, dazulernt und das Design dem Kontext/App anpasst. Swiftkey mag, wenn es funktioniert, die bessere Worterkennung haben, aber es ist noch weit (!) von seiner Android-Klasse entfernt.

Dass Apple erlaubt, dass Drittanbieter Apps und Systemapps miteinander kommunizieren dürfen, war überfällig. Bisher musste ich z.B. für das Teilen eines Fotos via Whatsapp die App öffnen und von da aus dann auf die Galerie zugreifen. Umgekehrt (also in die Galerie gehen, „Foto teilen über“) ging es nicht, sondern nur für Apple-eigene Dienste. Und? Nun ja – für einige „Fremd“-Apps geht das bereits (Flickr, 500px, Tumblr, Facebook) – andere (Whatsapp, Hangouts…) folgen noch. Die App-Entwickler müssen die App dafür aktualisieren.

Widgets sind jetzt im bisher eher nutzlosen Benachrichtigungs-Center eingebunden. Und das finde ich persönlich toll gelöst. Es gibt auch schon einige Apps, die Widgets unterstützen: Yahoo Wetter, Wunderlist, Dropbox, Runtastic, Swarm für Check-Ins… Fast schon apple-untypisch kann man die Reihenfolge frei ändern und apple-eigene Dienste ausblenden (Hurra! Endlich keine Börsenkurse mehr lesen müssen!). Insgesamt gut gelöst.

Ja – und das war auch schon die Geschichte von iOS8. Sinnvoll erweitert ohne das Sandbox-Prinzip über Bord zu werfen.

Der große Bildschirm und die Bedienung

Ich komme von einem 4-Zoll-Smartphone. Ja, die gibt es noch. Und ehrlich gesagt finde ich ein iPhone 5 auch nach nun über einem Monat iPhone 6 immer noch eine schöne Größe. Sofern die Inhalte auch für mobile optimiert waren, hatte ich nie Probleme mit dem „kleinen“ Display. Webseiten lesen in der Desktop-Version machte natürlich nie Spaß.

Das iPhone 6 Display mit seinen 4,7-Zoll ist wie erwartet eine Pracht: Hohe DPI, absolut blickwinkelstabil, keine überdrehten AMOLED-Farben, kein flaues LCD-Bild. Für mich immer noch der Benchmark in Sachen Farbwiedergabe, weil sehr ausgewogen.

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Bei der Einführung des iPhone 5 (2012) erzählte Johnny Ive in Trance und zu Streichermusik, dass das iPhone 5 für die Hand designt sei, da man mit dem Daumen auch noch an das äußerste Eck des Displays gelange. Das geht beim iPhone 6 nicht mehr. Apples Antwort lautet „Reachability“. Wenn man den Homebutton zwei mal antippt (nicht drückt!), rutscht der gesamte Bildschirminhalt auf die Hälfte runter. Nachdem man eine App öffnet oder in einer App (funktioniert auch in Apps!) eine Eingabe macht, rutscht der Bildschirm wieder nach oben. Es funktioniert gut und macht Sinn. Aber: Das wäre alles nicht nötig, wenn man am unteren Bildschirmrand Software-Buttons hätte (siehe Android!). Der meistgenutzte Befehl, für den ich oben an den Bildschirm muss, ist der Zurück-Button. Der sitzt in iOS-Apps meist oben links. Und sofern die App keine Wischgesten unterstützt, muss ich den über „Reachabiltiy“ immer runterziehen. Und das ist auch der Grund, warum die Bedienung eines Nexus 6 mit seinem 6-Zoll-Display gar nicht so schlimm ist – man hat ja den Back-Button und den App-Drawer in Form von Software-Keys am unteren Bildschirmrand in Daumennähe.

TLDR: Mit dem iPhone 6 mit 4,7-Zoll-Display stößt iOS in Sachen Bedienbarkeit an Grenzen. Finde da die Android-Lösung praktischer – auch wenn man dafür durch die Bedienelemente ständig Bildschirmplatz verschenkt.

Kamera, TouchID, Performance und Akku

Ja, was soll ich sagen – die Kamera ist eine iPhone-Kamera, d.h. Fokus schnell und sitzt fast immer. Die Bedienung ist gewohnt einfach – wenige Bedienelemente. Manuelle Belichtungseinstellungen gibt es nicht (also Blende, Verschlusszeit oder ISO – Apps wie „Manual“ machen das toll.). Neu: Die Foto-App hat jetzt wirklich viele Bearbeitungsfunktionen eingebaut, d.h. man muss nicht zwangsweise in Instagram oder Snapseed bearbeiten, sondern kommt mit Bordmitteln deutlich weiter als bisher.

Nichts Neues mehr, aber eines meiner Lieblingsfeatures: TouchID. Es gab auch vor/neben Apple Fingerscanner am Smartphone, aber die funktionier(t)en so unzuverlässig (bzw. muss man genau in einem bestimmten Winkel drüber fahren), dass man die Funktion bald hasst. Hier funktioniert es wirklich toll aus allen erdenklichen Winkeln. Ich habe beide Daumen und Zeigefinger eingespeichert – und so tippe ich schon lange keine Entsperrcodes oder Passwörter für App-Einkäufe ein. Wirklich sehr praktisch und es funktioniert fast fehlerfrei.

Das iPhone 6 läuft erwartungsgemäß (bis auf ein paar Apps, die noch kein Update erhalten haben) rund und flüssig. Der Akku hält einen Arbeitstag mit anschließendem After-Work-Bier und S-Bahnfahrt gut durch. Tethering (WLAN-Hotspot für den Laptop) verbraucht erwartungsgemäß viel Strom. Nach einer halben Stunde Tethering in der Bahn (und gleichzeitig Musik/Podcast) geht der Akku um ca. 10% in die Knie. Mittlerweile lässt sich der Stromverbrauch auch nach Apps auslesen. Alles in allem ausreichend und besser als das iPhone 5. Da ich an jedem Ort, wo ich mich mehr als 30min. aufhalte (zuhause, Auto, Büro) ein Lightning-Kabel rumliegen habe (die AmazonBasics-Dinger sind zu empfehlen – billiger, länger und Apple-lizensiert!), war der Akku für mich nie ein Problem. V.a. aber auch weil die Akkulaufzeit sehr vorhersehbar ist und z.B. kein abgerauchter Hintergrundprozess mal eben den Akku in einer Stunde leert.

Preis-Leistung

Mein iPhone 6 mit 64GB Speicher (16GB sind mittlerweile ein Witz) schlug mit 799,- zu Buche. ACHTHUNDERT Euro. Das ist sehr viel Geld. Der Vergleich zur Konkurrenz:

–          Moto X mit 32GB: 579,-

–          Samsung Galaxy S5 32GB: 495,- (Amazon)

–          HTC one M8: 507,-

Selbst wenn man mal den iPhone-Basispreis von 699,- veranschlagt, bleiben mindestens 100-200,- Differenz im Vergleich zu den Flaggschiffen der Konkurrenz. Das Nexus 5 habe ich bewusst weggelassen. Mit 399,- (32GB) ist es ein heißer Deal, aber zum einen wurde es gerade zum Auslaufmodell erklärt (Abverkauf der Restbestände), zum anderen ist es meines Erachtens nicht auf dem Verarbeitungs- und z.T. Hardwareniveau der o.g. Geräte (bei Samsung könnte man streiten).

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D.h. auch dieses Jahr zahlt man wieder die Apple Tax für die beste Haptik und Materialanmutung (wohl zusammen mit dem HTC) und die wieder mal beste Kamera. Ob einem die 200-300,- Aufpreis das wert sind, muss man selbst entscheiden. Das iPhone ist wieder ein recht ausgewogenes Gerät und das ist für mich die große Stärke: Zwar gibt es vermutlich in jeder Kategorie (Akku, Kamera, Funktionsvielfalt) ein besseres Gerät, aber das iPhone erlaubt sich (bis auf den Preis ;-)) eben keine groben Schnitzer und versagt eigentlich in keiner Kategorie. Das macht es für mich auch 2014 zum besten Smartphone. Aber seien wir mal ehrlich: Die Entscheidung für oder gegen ein iPhone wird doch nur selten und nur von den wenigsten auf Grund der Features getroffen – da spielt doch der Fanboyism eine übergeordnete Rolle 😉

(FS)

Posted on 3. Dezember 2014 in Apple, LHW Test, Mobile, Technology, Test

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Franz Steinberger mag gute Inhalte - und wenn diese auf eine tolle technische Umsetzung treffen, ist er glücklich. Er wirkt bei Lernhandwerk als Konzepter, Didaktiker und Content-Entwickler.
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